Herbis Kolumnen aus VorCoronaZeiten

Von Herbert Demel

 

Der Besuch

Er hatte ihn angerufen. Einfach so.  „Komm glei, mir drenket oin“. Waren seine Worte. Dann hatte er aufgelegt. Einfach so. Er hatte nichts sagen können, erwidern. Und er kannte ihn eigentlich nicht richtig gut. Sie hatten sich vor Jahrzehnten einmal bei einer Vernissage getroffen und waren ins Gespräch gekommen. Und so ein wenig angefreundet. Eigentlich waren sie in vielem kontrovers, aber es war doch so etwas wie eine Freundschaft entstanden. Sein Haus steht fast ein wenig einsam am Rande des Schönbuchs mit Blick über das Ammertal, umgeben von Streuobstwiesen. Es war ein Kiesweg zum Haus, der bei jedem Schritt knirschte. Das Gartentor schrie nach Öl und quietschte erbärmlich, als er es mit der linken Hand aufschob. Er schloss es darum auch nicht. „Soddschd amol eelá“ sagte er beim Eintreten. Ohne weitere Begrüßung.  Er hatte sie gleich gesehen, auf der Terrasse. Sie und ihn.

Mit einer jovialen Handbewegung bedeutete der Andere ihm Platz zu nehmen. Seine Frau sagte nichts und sah wie durch ihn hindurch dem nahen Waldrand zu.Wortlos schenkte sein Gegenüber den Roten in die bereit stehenden Viertelesgläser. Und reichte ihm das volle Glas, das er auf den da liegenden Untersetzer stellte. Der Blick des Freundes war irgenwie anders. Leer und ohne das Feuer, das er aus ihren Diskussionen kannte. Irgendwie abwesend. „Hock de ná oond drenk“, sagte der.

Seine Frau lächelte unvermittelt, sagte aber nichts und schaute weiter in die Ferne.

Diese Situation. Ein kalter Hauch erfasste ihn. Gesprochen wurde lang nichts und auch er vermied in dieser unwirklichen Situation einen Satz zu beginnen. Wo war er nur hingekommen? Was war los? Dann blickte er von einem zum anderen. Es war Reif auf ihren Gesichtern. Dann tat er einen tiefen Schluck aus seinem Glas. Der Bekannte hatte die Fäuste geballt, dass das Weiße an den Knöcheln hervortrat. Plötzlich keuchte er nur ein Wort: „Demenz“.

Mehr sagte er nicht. Dann wieder Schweigen. „vrschdasch‘- sui kennt me nemme“!  „Vor á baar Wochá frogt se me: Wer send sie“? „Sie, was machet sie en meim Haus“? Ond dann pletzlich: „Wo ben i“? „Vrschdasch“?

Und die Augenlieder seines Gegenüber flackern. „Komm mir ganget a Schduck“. Sie gehen durch das halbhohe Gras der Streuobstwiese. Apfel und Birne in voller Blüte. Wie wenn die Natur Hohn und Spott über sie ausschütten wollte, regnet es weiße Blüten. Wie Schnee bedeckt es bei jedem Windstoß Haar und Jacke.

„Do hock na“, sie waren an einer grob gezimmerten, uralten Bank angekommen. Er holte sein Sacktuch aus der Hosentasche, wischte den Platz an der Bank und legte das Tuch darauf. Dann setzte er sich. Der Bekannte grinste. „Pedant“. Er sagte nur: „schwarze Jeans“.

Ich will dir etwas erzählen, das, warum ich dich gebeten habe, heute zu mir zu kommen. Ich kann mit niemand darüber reden.

Seine Augen bekommen einen hellen Schimmer. Trotzdem schweigt er lange, wie wenn er sich sammeln müsste. Dann, fast explosionsartig beginnt er zu reden, zuerst leise, dann lauter. Er schaut den Freund  nicht an. Sein Blick flieht in die Weite des Ammertals. Und seine Stimme hatte plötzlich einen anderen, sanften Klang.

„Sie stand plötzlich vor mir. Langes blondes Haar. Helle Augen. Rote Lippen. Mit einem kurzen Schottenrock Mini. Sowas von Mini. Mit einem Strech Pulli, der sich über ihren süßen Busen wölbte. Süße Beine. Und so kleine, flache Schühchen. Und die langen blonden Haare, die bis auf die Schulter wiegden“.

„Verstehst du. Vor fünfundfünfzig Jahren. Vor dem Aufzug der Firma“.

Er sieht ihn an und wieder ist dieses unermessliche Entsetzen in seinem Blick. „dann?“, „was hast du gemacht“.

„Ich bin aufgestanden und habe sie in meinen Arm genommen. Irgendwie ist sie dann ruhiger geworden“.

„Ich habe den Arzt angerufen“.

Der auf unerklärliche Weise nach einer viertel Stunde da war. Nach der Untersuchung stellte er lapidar fest, „ich habe ihrer Frau eine Beruhigungsspritze gegeben“.

„Allen Anscheins leidet ihre Frau unter einer ausgeprägten Demenz. Und ich gebe Ihnen eine Überweisung zu einem Neurologen“. „Was heißt Demenz?“

„Sie hat sie nicht mehr erkannt und ist wohl erschrocken, sie hier zu sehen“. Ich war wie erschlagen.

„Wir sind rund fünfundfünfzig Jahre zusammen. Denk dir. Und es ist ja nicht nur die Vergesslichkeit. Unser ganzes bisheriges Leben. Es ist alles ganz anders“. Freund. „Und manchmal räumt sie auch nichts mehr weg. Sie lässt alles liegen. Uriniert und verkotet alles.

Weißt Du was das heißt, von gestern auf heute, alles ist anders. Du kennst sie. Du kennst ihre Phobie sich zu richten, zu schminken“. Ich mache hier alles.

„Und dann meine Entdeckung, Freund. Ich habe im DM Markt Höschenwindeln gefunden. Mit Rüschchen an den Enden. Stell Dir das vor“!

„Und ich muss sie ihr anziehen. Immer wieder. Bei Nacht aufstehen. Sie hinausbegleiten 4, 5 mal. Ich koche ich putze. Und sie kennt mich nicht mehr. Fragt was ist heute für ein Tag. Wer sind sie. Was machen sie hier“.

Und waschen, Du ich hatte ihr immer die neuesten Geräte gekauft. Weißt Du, dass man Seidenblusen nicht kochen darf…

Er hatte die Flasche am Hals hierher getragen und die Henkel Gläser am Zeigefinger eingehangen. Jetzt schenkte er ein und reichte ihm das Glas.

„Herrgott, ich liebe sie wie am ersten Tag“. „Es kann doch nicht ein Teufel ihr alles aus dem Hirn brennen. Es kann doch nicht sein, dass sie immer weiter verschwindet, weiß Gott wo hin und nur ihre Hülle letztendlich bei mir sitzt. Sag doch auch was, Freund“.

Während der einen Schluck nimmt, fällt ihm ein lieber Bekannter ein.

Inge Jens hat ein unendlich trauriges, aber wunderbares Buch über die Krankheit und die letzten Jahre mit Walter Jens geschrieben. Er hatte es zig mal gelesen. Und nun das bei seinem Freund. Was sage man ihm. Was sagt man Jemandem, der von dir Rat oder gar Hilfe erwartet.Und es fällt ihm nichts dümmeres ein:

„Du kannscht an dera Situation nex ändere. Nemms á, wie’s isch. Ond mach ihr jede Schdond schee. Ertrag ihre schdändige Frogá. Werd ed narret. Fier se omanandr, koch rá ebbes gueds. Oond wenn se de nemme kennd, sag oifach, i benns doch, dei Schatz“.

Himmel aberau, was sagt man in solch einer Situation. All die Ratschläge, so banal sie auch sind, sind in ihrem Kern so wahr. Therapeuten und Arztbesuche so zwingend.

Ein monatelanges, elend langes Miteinander zu zweit, ist das Reale. Und muss bewältigt sein.  „Und dabei hilft Dir nur das was du vorher gesagt hast, Deine Liebe zu ihr“.

„Und immer wieder geduldig ihre Fragen beantworten, nicht unwirsch werden, …ja Schatz heute ist Freitag“.

Wenn er ihm  jetzt sagen würde, wenn dir die Decke auf den Kopf fällt, ruf mich an. Das wäre zu banal.

„Du musst mir dann auch sagen, was ich tun muss, um Dir eine Hilfe zu sein“.

Sein Blick hatte sich in dem Gespräch nicht verändert und er hat begriffen, wie wund er war.

Und dass Worte allein nicht heilen können. Da, und das wird ihm klar, da muss mehr kommen.

Als erstes nehme ich das Büchlein von Inge Jens und fahre auf den Tübinger Friedhof, denkt er. Setze mich an das Grab von Walter und lese darin, denkt er. Es ist so viel gesagt, von der Inge, das ihm jetzt helfen kann. Und dann will er doch versuchen, seinem Freund ein Freund zu sein. Sie verabschieden sich am Tor. „Sag Deinerá en Grueß“, verabschiedet er ihn. Er fährt das Ammertal zurück, Herrenberg zu. Und dann über den Berg seiner Heimat zu.

 

 

á paar Johr zruck ... „Vor em Lamanik“

Nach dem oberen Kreisverkehr weisen die Schilder zur historischen Stadt. Direkt am Landgasthof Rössle biegt man rechts ab. Dem  kleinen Bistro mit dem großen Namen Döner, folgt Brigittes Geschenklädle. Ilonas Fußpflege rechts und der Filiale der Kreissparkasse auf der linken Seite. Dann  fällt der Blick auf einen imposanten Querbau. Fast in römisch Terrakotta gehalten. Jetzt etwas verbraunt. Es ist dies die uralte Poststation an der alten Schweizer Straße. Auf der Jahrhunderte lang Fuhrwerke und Postkutschen von der Schweiz kommend über Tübingen  nach Stuttgart fuhren. Oder umgekehrt. Es war der Pferdewechsel.   Reisende wie Friedrich Schiller 1793,  oder Johann Wolfgang von Goethe 1797 machten hier Station. Goethe, auf der Reise nach Italien, schrieb in sein Tagebuch „Waldenbuch ist ein artiger,  zwischen Hügeln gelegener Ort mit Wiesen, Feld, Weinbergen und Wald und einem herrschaftlichen Schloss“, und sie verlustierten sich dann daselbst im Gasthof Krone, bis es weiterging. Nicht ohne vorher  ihre Namen mit dem Messer in die Tischplatte zu schneiden.

Heutzutage ist hier in der alten Poststation das Lamanik, ein kleines schnuckeliges Cafe Restaurant und weiter unten eine Bar. Vor dem Lamanik, wie auf einem  erhöhten Podestplatz sind Tische und Stühle aufgestellt. Ein rechter Freisitz bei Sonnenschein für einen  Cappuccino, Eis, ein Weizenbier oder einen leckeren Snack. Vis a vis eine Boutique neben der Einfahrt zum  Parkplatz und früher Binders Feinkost Laden. Eine Quelle wunderbarer Köstlichkeiten und edler Weine und allerlei mediterraner Genüsse, die dem Gourmet keine Wünsche offen ließen. Der Blick vom Lamanik ist ein wahrer Herrensitz und Feldherrenhügel auf den Graben und den einmündenden Neuen Weg.

Sie setzen sich an ein kleines rundes Café Tischlein, direkt an der Hauswand. Die Gastronomie öffnet erst um 15:00 Uhr. Sie sind zu früh. Also warten sie  geduldig. Er bestellt sich dann einen Cappuccino, die Gefährtin ein Glas Trollinger mit Lemberger. Es ist ein wunderschöner warmer Spätherbsttag. Eigentlich wollten sie ja ein Eis essen gehen.

Sie sind überrascht. Es herrscht in der alten Landstadt vor ihrem Sitzplatz jetzt um diese Zeit ein reges Treiben.  Autos  biegen Richtung Bundesstraße die den Ort durchschneidet ab. Oder kommen von dort her. Fahrradfahrer  auf dem Museumsradweg. Menschen eilen zur Sparkasse,  oder sonst wo hin. Mütter mit Kinderwagen schieben die Kleinen auf dem Gehsteig. Wieder andere gehen zu Mena's Friseursalon die Treppe hoch. Bekannte heben freundlich die Hand und grüßen. Andere setzen sich an die freien Tische. Langsam wird es voll. Mütter mit den Kinderwagen die  ihre Besorgungen beendet haben bilden um sie eine Wagenburg. Sie sehen in meist lachende Babyaugen und wundern sich über die vielen Leute, die  so einfach an einem Werktag mittags Zeit und Muse haben.

 „Das hätten wir schon öfters machen können“ sagt sie. Er nickt nur, nimmt seine Tasse hoch  und steckt gar nicht Gentlemanlike seine Zunge in den Milchschaum und stöhnt leise. Dieses zarte Milchgespinst liebkost die Zungenspitze und dann merkt er das bittere des Kakaos. Ein Jubel für die Geschmacksknospen. Dann trinkt er in kleinen Schlucken. Nach der Kühle des Schaums der  heiße, starke Espresso. Man könnt' sich dran gewöhnen, denkt er.

„Dees isch' wie em Läba“, sagt er dann völlig zusammenhanglos. Sie schaut ihn verständnislos an. Und wenn er jetzt in Italien wäre würde er in den Teller mit den Dolci greifen...Völlig surreale Gedanken gehen ihm durch den Kopf und er überlegt nun ernsthaft, ob er ein Weizenbier trinke, oder doch den lang ersehnten Eisbecher Monumentale bestelle.

„Wenn du no ois drenkscht, bschdell  i mei Eis“? 

„Du emmr mit deim Eis“!

„Aber deswege send m'r doch herkomma“.

Ihre Aufmerksamkeit wendet sich nun dem Feinkostladen zu. Er ist bedenklich leer. Binder sen. sitzt vorne an seiner Kasse. Andrea ist im hinteren Teil des Ladens beschäftigt. Eine Bekannte betritt das Ladengeschäft und geht durch die Regale. Eine ganze Besuchergruppe kommt daher. Er nimmt an vom Schokoladen Ritter. Sie flanieren laut schwatzend an ihnen vorbei die Marktstraße hoch und gehen der Kirche und dem Schloss zu. Bleiben wie viele am erst nach 1978 renovierten Bauernhaus Ebinger stehen. In dem jetzt das Cafe am Markt betrieben wird und betrachten das alte Fachwerk. Gehen dann an der alten Viehtränke, dem Marktbrunnen vorbei. Und staunen über den historischen Stadtkern, der auf seinem Hügel einmal von der Stadtmauer umgeben war. Von der noch Reste Unter der Mauer zu sehen sind.

 

Viele wissen nicht mehr, das erst nach 1975 im Rahmen des Städtebaulichen Rahmenplanes und Beschluss des Gemeinderates eine gewaltige Sanierungsleistung in Angriff genommen wurde. Er bedauerte  nachhaltig, dass die vielen Misthaufen vor den alten Häusern verschwanden, um der Stadt ein urbanes Gesicht zu geben. Die gelebte Vergangenheit und ihre Ländlichkeit aber dadurch verloren  hatte. Aber das war vor ihrer Zeit in der Stadt.

Er bestellt sich wie angekündigt den Eisbecher, der mit einem langen Eislöffel freundlich serviert wird. Die Frage, ob er dazu ein Wasser möge verwirrt ihn etwas und er verneint „eigentlich nicht, dank schee“.

Es passiert ihnen nicht oft, dass sie völlig ruhig und gelöst einfach nur da sitzen. Es ist, wie man so schön sagt, eine naseweises Eck. Und dieses ruhige vor sich hin Schweigen öffnet neue Blicke und Gedanken. Vor sich hin träumen. Ein lang vergessenes Tun. Untergegangen im vierzigjährigen Geschäftsleben. Und auch zu Hause. Wo immer etwas zu bereden war. Sie sind nicht unfreundlich zueinander. Das sagen die Blicke. In diesem Schweigen Freundlichkeiten auszutauschen. Liegt darin ein Zauber?

„pass doch auf!“ „du hasch wieder 'z ganz Hemmed vertrielt!“.

Er sieht an sich herunter. Auch noch 's Schokoladeneis auf dem gelben Poloshirt!

„i hann's g'wisst, emmr der lang' Leffel, z nägschdmol nemme mein kloina vo d'rhoim mit...

 

Ach du meinegütele, jetzt ben e doch ens vrzehla komma. So ende ich, wie ich immer ende, in dem ich Euch zurufe, wie weiland dr Mischtr Schpock vom Raumschiff Enterprise aus einer fernen Galaxie: Läääaben Sie lange, on in Frieden

Eier Herbi